Die Reise in die Quantenphysik: Teil 7 – Höhepunkt: Von der Theorie zur messbaren Vorhersage

Jetzt machen wir den großen Bogen: Wir verbinden die Bausteine aus den vorherigen Teilen – Zustandsdynamik, Interferenz, Verschränkung, Hamilton-Simulation, Algorithmen, Metrologie und Fehlertoleranz – zu vollständig durchgerechneten, realitätsnahen Fallstudien. Ziel ist, dass du jeden Schritt nicht nur benennen, sondern fachlich sicher erklären kannst: Was wird gemessen? Welche Gleichungen stecken dahinter? Wie übersetzt man sie in Schaltungen? Welches Rauschen ist kritisch, und wie wird es beherrscht?

Fallstudie A: Transverses Ising-Modell – vom Hamiltonian zur messbaren Korrelation

Physik & Modell. Das 1D-Transverse-Ising-Modell (TIM) ist ein Lehrbuchbeispiel für Quantenphasenübergänge und zugleich ein direktes Qubit-Modell:

H = −J ∑_{i=1}^{n−1} Z_i Z_{i+1} − h ∑_{i=1}^{n} X_i.

Hier koppelt J Nachbarn (Bevorzugung paralleler Z-Ausrichtung), h ist ein querendes Feld (X-Drehungen). Für h/J klein herrscht Ordnung (magnetisiert entlang Z), für h/J groß dominiert das Feld (paramagnetisch). Der Phasenübergang in der Thermodynamik liegt bei h/J = 1 (unendliche Kette); bei endlichen Ketten erscheinen charakteristische Vorzeichen wie ein sich schließender Gap mit wachsender Systemgröße.

Zielmessgrößen. Zwei Kernobservablen genügen, um die Physik zu „sehen“:

  • Magnetisierung: M_z = (1/n) ∑_i ⟨Z_i⟩.
  • Korrelationsfunktion: C_{zz}(r) = (1/(n−r)) ∑_i ⟨Z_i Z_{i+r}⟩.

Im geordneten Regime ist M_z groß und C_{zz}(r) fällt langsam ab; im paramagnetischen Regime ist M_z ≈ 0 und Korrelationen fallen kurzreichweitig ab.

Simulation als Schaltung. TIM zerfällt natürlich in zwei nichtkommutierende Teile:
H_Z = −J ∑ Z_i Z_{i+1}, H_X = −h ∑ X_i. Ein erster Trotter-Schritt für Zeit τ lautet:

U(τ) ≈ e^{-i H_Z τ} · e^{-i H_X τ}  + O(τ²).

Beide Exponenten sind Produkt aus kommutierenden lokalen Termen:

  • e^{-i H_Z τ} = ∏_i e^{+i J τ Z_i Z_{i+1}} (Z-Z-Phasen, als kontrollierte Z-Rotationen realisierbar),
  • e^{-i H_X τ} = ∏_i e^{+i h τ X_i} (einzelqubit-R_x-Rotationen).

Damit lässt sich U(t) als L = t/τ Wiederholungen aufbauen. Höhere Suzuki-Ordnungen reduzieren den Fehler (O(τ³) etc.), kosten aber Gate-Tiefe.

Zustandsvorbereitung. Zwei Wege sind praktisch:

  1. Adiabatisch: Starte im einfachen Grundzustand von H_X (|+⟩^{⊗ n}), schalte langsam J hoch und h runter. Adiabatik erfordert eine Laufzeit, die mit der inversen Gap-Quadrat-Skalierung wächst; für kleine n machbar.
  2. Variational (VQE): Nutze einen hardware-effizienten Ansatz U(θ) aus abwechselnden R_x-Layern und entangling ZZ(φ)-Gattern, minimiere ⟨H⟩. Die Struktur spiegelt H_Z/H_X und konvergiert gut.

Messprotokoll. ⟨Z_i⟩ misst du direkt in Z-Basis. Für ⟨Z_i Z_j⟩ misst du beide Qubits in Z und bildest das Produkt der Ergebnisse. Für ⟨X_i⟩ (Kontrollmessung) rotiert man erst mit H in die X-Basis. Für die dynamische Struktur (Response) nutze die Zeitentwicklung: Berechne die zeitabhängige Autokorrelation ⟨Z_k(t) Z_k(0)⟩ über „Loslassen“ des vorbereiteten Zustands unter H und Fourier-transformiere sie; Peaks markieren Anregungsenergien.

Rauschen & Intuition. Dephasierung (T₂) wirkt wie Rauschen in Z-Basis: Sie verwischt ⟨X⟩-Komponenten und schwächt die Fähigkeit, nahe der kritischen Region (wo Phasen empfindlich sind) feine Interferenz zu halten. Echo-Sequenzen helfen bei dynamischen Messungen, und VQE verträgt moderate Rauschpegel, solange Messstatistik hoch genug ist.

Fallstudie B: Präzisionsinterferometrie – Squeezing, QFI und reale Verluste

Aufbau. Ein Mach–Zehnder-Interferometer lässt zwei Pfade interferieren. Im Quantenformalismus arbeitet man gern mit kollektiven Spin-Operatoren J_x, J_y, J_z für N Teilchen (z. B. Photonenpaare oder Atome). Die Phasenverschiebung φ wirkt als U(φ) = e^{-i φ J_z}. Ein Zustand mit Erwartungswert ⟨J_x⟩ und kleiner Varianz (ΔJ_y)^2 kodiert φ besonders empfindlich.

Standardgrenzen. Ohne Verschränkung liegt die Phasenpräzision (Cramér–Rao) bei der Standard-Quantengrenze (SQL): Δφ ≥ 1/√N. Mit geeigneter Verschränkung/Squeezing nähert man die Heisenberg-Skalierung Δφ ≈ 1/N an.

Formaler Rahmen: Quanten-Fisher-Information. Für reine Zustände gilt F_Q = 4 Var(J_z), und Var(φ̂) ≥ 1/(ν F_Q) mit Wiederholungszahl ν. Ein gesqueezter Spinzustand (z. B. durch nichtlineare Wechselwirkungen erzeugt) weist eine reduzierte Varianz in einer Quadratur auf:

ξ² = (N (ΔJ_⊥)²) / |⟨J⟩|²,   und   Δφ ≳ ξ / √N.

ξ < 1 signalisiert Metrologie-Vorteil gegenüber SQL.

Verluste realistisch einrechnen. Optische Verluste mit Transmissionsfaktor η (0…1) reduzieren Verschränkung. Näherungen liefern z. B. F_Q(η) ≈ η N für viele unkorrelierte Photonen, während stark verschränkte Zustände empfindlicher auf 1−η reagieren. Praktische Faustregel: Leichter Squeezing-Gewinn (< 10 dB) überlebt moderate Verluste gut; „katzenartige“ Zustände verlieren Vorteil schnell.

Messung. In der Praxis liest man Stokes-Operatoren (Spin-Komponenten) über Differenzzähler an den Ausgängen. Ein Kalibrier-Scan über bekannte φ liefert die Transferfunktion; dann arbeitet man im steilen Bereich der Kurve (höchste Empfindlichkeit). Rauschbuchhaltung: Schussrauschen (∝ √N), technische Rauscherhöhungen, Drift – man platziert Unschärfe in der „harmloseren“ Quadratur (Squeezing) und stabilisiert Phase (Feedback).

Fallstudie C: T-Gatter in der Fehlertoleranz – Teleportation und Distillation komplett erklärt

Problemstellung. In gängigen Codes (Surface, CSS) sind Clifford-Gatter „leicht“, das T-Gatter T = diag(1, e^{iπ/4}) jedoch nicht transversal. Lösung: Magic-State-Teleportation.

Teleportiertes T-Gatter (Kernschritte).

  1. Bereite den magischen Zustand |A⟩ = T|+⟩ logisch (zunächst verrauscht, Fehlerwahrscheinlichkeit p).
  2. Führe eine gate-teleportation durch: Kopp­lung zwischen Daten-Qubit und |A⟩ mit einem Clifford-Netz (CNOT, H, S), dann Messung; abhängig vom Messergebnis folgt eine Clifford-Korrektur. Ergebnis: Ein effektives T auf dem Daten-Qubit, wenn |A⟩ hinreichend rein ist.

Distillation. Da Roh-|A⟩ zu fehlerhaft ist, reinigt man mehrere Kopien zu einer besseren. Beispiel: 15-zu-1 Bravyi–Kitaev-Protokoll, das bei kleinen p die Ausgangsfehlerwahrscheinlichkeit ungefähr

p_out ≈ 35 p³

liefert. Eine zweite Stufe verarbeitet 15 der bereits gereinigten Zustände usw. Rechenbeispiel: Start p=10^{-3}p_out≈3.5×10^{-8}. Eine zweite Stufe: p_out≈35·(3.5×10^{-8})³ ≈ 1.5×10^{-22} (weit besser als typisch gefordert). In der Realität dominiert Overhead: 15 Eingänge → 1 Ausgang pro Runde; die Fabrik muss eine Rate liefern, die dem T-Bedarf (T-Count/T-Depth) des Algorithmus entspricht.

Surface-Layout (Patch-Bild). Logische Qubits sind Patches; T-Fabriken sind eigene Patch-Areale, die kontinuierlich |A⟩-Zustände produzieren. Lattice-Surgery koppelt Daten-Patch und Fabrik-Patch punktuell. Kurze, planbare Routen minimieren Wartezeiten und zusätzliche Fehlerrisiken.

Fallstudie D: Von Autokorrelation zu Spektren – Messbare Dynamik mit Fourier-Brille

Aufgabe. Bestimme das Anregungsspektrum eines Modells aus der Zeitdomäne. Vorgehen:

  1. Wähle einen Startzustand |ψ_0⟩ (Grundzustand oder lokaler Anreger) und einen Operator O.
  2. Miss die Autokorrelation C(t) = ⟨ψ_0| O(t) O(0) |ψ_0⟩ mit O(t) = e^{+iHt} O e^{-iHt}. Das geschieht durch Sequenzen „präparieren → vorwärts evolvieren → messen → rücksetzen“ für viele t.
  3. Fourier-transformiere C(t)S(ω) (Spektralfunktion). Peaks geben Energiedifferenzen (Anregungen) und Linienbreiten (Lebensdauern/Rauschen).

Feinheiten. Endliche Messfenster erzeugen Fensterartefakte (Gibbseffekte); man nutzt Fensterfunktionen (Hann, Blackman) und Zero-Padding zur Interpolation. Rauschen führt zu Peak-Breiten – ein physikalischer Parameter und zugleich Messlimit. So wird Dynamik sichtbar und quantitativ zugänglich.

Fallstudie E: Von der Theorie zur Chemie – Hybrid VQE → PEA

Plan. Für ein kleines Molekül (z. B. H₂ in minimaler Basis) arbeitet man praktikabel in zwei Phasen:

  1. VQE: Hartree–Fock als Start, unitary Coupled-Cluster Singles/Doubles (UCCSD) mit begrenzter Tiefe als Ansatz. Messgruppierung reduziert Shot-Zahl (Terme, die kommutieren, werden gemeinsam geschätzt). Adaptive Strategien (Ansatz erweitern, wenn der Gradientenbeitrag groß ist) beschleunigen die Konvergenz.
  2. PEA-Veredelung: Den konvergierten VQE-Zustand als Start für wenige PEA-Runden nutzen, um Nachkommastellen der Bindungsenergie zu sichern (z. B. 10⁻³ Ha). Dazu braucht es kontrollierte e^{-iHt} über ausgewählte Zeiten t; Gate-Tiefe wird sorgfältig gegen Messzeit und Rauschen abgewogen.

Resonanz zur Theorie. Hier treffen die Bausteine zusammen: Fermion→Qubit-Mapping (Jordan–Wigner/Bravyi–Kitaev), Hamilton-Zerlegung, Variationsansatz, Phasenauslese – und Messstatistik.

Nachvollziehbare Rechen-Checkpoints

  • Trotter-Fehler im TIM: Führender Fehler ∝ τ² und Kommutatoren [H_Z, H_X]. Kleinere τ oder Suzuki-2 stabilisieren Messungen, kosten aber Tiefe.
  • QFI in der Metrologie: Für reinen Zustand unter U(φ)=e^{-iHφ} ist F_Q=4 Var(H). Hohe Varianz des Generators = hohe Empfindlichkeit.
  • Distillation-Stufen: Ziel-Fehler p_target und Roh-Fehler p_in liefern über p_out≈c p_in³ die nötigen Stufen. Zwei Stufen reichen oft für extrem kleine Ziele; Overhead bestimmt die Fabrikrate.

Typische Stolpersteine und wie man sie umgeht

  1. Mess-Overhead unterschätzt: VQE braucht viele Erwartungswerte. Lösung: Messgruppierung, Kommutativitätsgraphen, Schätzer-Varianzreduktion (z. B. Schatten-Tomographie-Ideen), adaptive Ansätze.
  2. Zu schnelle Adiabatik: Bei zu kurzer Laufzeit passieren Landau–Zener-Übergänge; Diagnose über Rest-Anregungsdichte, Korrektur durch langsamere Rampen oder optimierte Pfade.
  3. Fehlerverteilung in Codes: Leckage (Zustände außerhalb des Codes) ist tückisch. Puls-Design (Leckage-Minimierung) und periodische Leakage-Reset-Protokolle halten das logische Modell valide.
  4. Interferometrie-Drift: Phasenstabilität ist alles. Passive Stabilität (mechanisch/thermisch) plus aktives Feedback auf Referenzlinien hält den Arbeitspunkt an der steilen Flanke.

Kurze, aber dichte Formelsammlung für diesen Teil

Transverses Ising:        H = −J Σ Z_i Z_{i+1} − h Σ X_i
Suzuki–Trotter (1. Stufe):U(τ) ≈ e^{-iH_Z τ} e^{-iH_X τ} + O(τ²)
Korrelator:               C_{zz}(r) = (1/(n−r)) Σ ⟨Z_i Z_{i+r}⟩
Interferometer:           U(φ) = e^{-i φ J_z},   F_Q = 4 Var(J_z)
SQL/Heisenberg:           Δφ ≥ 1/√N  →  Δφ ≈ 1/N (ideale Verschränkung)
Spin-Squeezing:           ξ² = N (ΔJ_⊥)² / |⟨J⟩|²,   Δφ ≳ ξ / √N
Magic-State Distillation: p_out ≈ 35 p³ (15→1-Protokoll, kleine p)
Autokorrelation:          C(t) = ⟨ψ| O(t) O(0) |ψ⟩,  O(t) = e^{+iHt} O e^{-iHt}
Spektralfunktion:         S(ω) = ∫ dt e^{iωt} C(t)

Mentale Bilder, die den „Höhepunkt“ tragen

  • Magnetische Kette als Chor: H_Z stimmt Nachbarn, H_X fordert Soli ein – der Übergang ist der Moment, in dem der Chor zwischen beidem balanciert.
  • Interferometer als Waage: Squeezing verteilt Rauschen zwischen zwei Schalen; die präzise Schale wiegt feiner – Verluste wehen Körnchen aus beiden Schalen.
  • T-Fabrik als Raffinerie: Rohstoff (verrauschte |A⟩) rein, Destillation raus – Teleportation liefert die Energie (T-Gate) genau dort, wo sie gebraucht wird.
  • Spektrum als Klangbild: Zeit-Echoes werden zu Frequenz-Linien; Linienbreiten verraten Lebensdauern und Rauschen.

Womit du nach diesem Höhepunkt sicher umgehen kannst

Du kannst ein konkretes Spinketten-Hamiltonian in Schaltungen zerlegen, Zustände variational oder adiabatisch vorbereiten, Korrelationen messen, dynamische Informationen aus Zeitdomänen ableiten, eine Interferometrie vom SQL zur Heisenberg-Nähe führen und präzise einordnen, wie Verluste die Quanten-Fisher-Information drücken. Du verstehst, warum T-Gatter den Ressourcenplan dominieren, wie Distillation arbeitet und wie Surface-Layouts diese Logik in der Fläche „verdrahten“. Damit ist der Weg frei für die verbleibenden Lückenfüller-Teile: Wir schließen bewusst offene Kanten, vertiefen Spezialthemen (z. B. offene Systemdynamik als Ressource, konkrete Layout-Rechnungen, Mess-Ökonomie) und setzen die Bausteine in weiteren, eigenständigen Mini-Projekten ein, die du Schritt für Schritt selbst durchführen kannst.
weiter?